Superhund? Bärendienst? Moment, es geht doch um Assistenzhunde im Dienst der Menschen. Um Profihunde, um echte Assistenzhunde und ihre Profi-Trainer. Diese unterscheiden sich allerdings ganz deutlich von den Superhunden und den Hundeverhaltenstherapeuten aus dem Projekt Superhund. Aber – haben die Fernsehzuschauer das verstanden, nur weil Sat1 den Begriff Assistenzhund nicht benutzt hat?
Was der Sender in der Docutainment-Serie „Projekt Superhund“ aufgeboten hat, war eine bunte Mischung aller „Randgruppen“. Menschen und Tiere, für die das ach so emotional aufgeladene Herz der Gutmenschen unter den Fernsehzuschauern schlagen – und Quote machen sollte. Denn das ist die harte Währung, um die es geht: Quote für Werbeeinahmen.
Sat1 ist ein Wirtschaftsunternehmen, das von Werbeeinnahmen – und der Sensationslust der Zuschauer lebt. Das unterstützen wir mit unserem Fernseh-Verhalten – und dürfen dem Sender daraus keinen Vorwurf machen. Trotzdem kann als Dokumentation verkleideter Sensationsjournalismus durchaus auch Schaden anrichten – womit wir beim Bärendienst sind.
Projekt Superhund – Spiel mit Emotionen für die Quote
Alles in allem für mich ein eher fragwürdiges Projekt. Sehen wir uns doch mal die „Quotenbringer“ der Serie an. Da waren zum einen die Menschen mit Behinderung. Zum Beispiel der 28jährige Mann, der aufgrund eines Gendefekts auf den Rollstuhl angewiesen ist und dessen Krankheitsbild sich weiter verschlechtern wird oder eine junge Narkoleptikerin.
Da war außerdem ein Junge, seit seiner Geburt mehrfach behindert und auf Betreuung angewiesen. Weiter wurde tierische Unterstützung für zwei traumatisierte Familien, für eine PTBS-Patientin, eine an Muskelschwund erkrankte und eine durch einen vorgeburtlichen Schlaganfall teilweise gelähmte junge Frau sowie für eine Frau gesucht, die wegen Contergan mit zwei verkürzten Armen lebt.
„Hilfsbedürftige“ Menschen (das Wort ist hier bewusst in Anführungszeichen gesetzt!) – und hilfsbedürftige Tiere: die Tierschutzhunde. Welch eine Mischung, ein emotional hoch aufgeladener Quotencocktail.
Superhund aus dem Tierheim
Zum Teil kamen die angehenden Superhunde aus Tierheimen in Deutschland, abgegeben wegen Überforderung oder Krankheit der Vorbesitzer. Oder sie kamen aus dem Süden, tierische Flüchtlinge sozusagen. Im Fall des Superhundes für die Narkoleptikerin wurde der Hund sogar in einem türkischen Tierheim ausgesucht. Oftmals spielten in der Serie noch junge Hunde eine Rolle, solche mit dem „ist der aber süß“-Faktor.
Selbst die Trainer der Hunde, Masih Samin und Sabine Hulsebosch waren vom Sender mit Bedacht ausgewählt worden. Der Fokus lag hierbei aber möglicherweise nicht auf den Fähigkeiten und Erfahrungen eines Assistenzhundetrainers, sondern auf einer interessanten Vita, die bei beiden gespickt ist mit sozialem Engagement und Einsatz für den Tierschutz. Mit einer Frau und einem Mann wurde außerdem die Geschlechterneutralität gewahrt.
Alles in allem also eine ausgewogene Auswahl der Protagonisten. Good Job Sat1 – mit Blick auf die Quote. Und darüber hinaus?
Der Informationswert von Projekt Superhund
Was aber bezweckte Sat1 mit dieser Serie außerdem? Sollte tatsächlich ein Einblick in das Assistenzhundewesen gegeben werden? Den Begriff „Assistenzhund“ mieden sowohl der Sender als auch alle Beteiligten übrigens wohlweislich.
Und genau darin liegt der Bärendienst, den der Sender dem Assistenzhundewesen wissentlich oder unwissentlich zugefügt hat. Die Sendung vermittelte: Ein Hund aus dem Tierschutz kann mit ein paar Trainingseinheiten und ein paar erlernten Tricks zum Assistenzhund werden. Das ist schlicht falsch!
Mit dieser Meinung stehe ich übrigens nicht alleine: Profihunds Umfrage auf Facebook, an der sich insgesamt 69 Menschen beteiligt haben, ergab: 28 % empfanden diese Serie als hilfreich für das Assistenzhundewesen, 72% waren der Meinung, das Projekt Superhund vermittle ein falsches Bild. Darunter in beiden Lagern übrigens „normale“ Menschen und Hundehalter, Mensch-Assistenzhund-Teams, Therapeuten, die tiergestützt arbeiten, sowie Assistenzhundetrainer.
Gut gemeint war vielleicht, dem Thema Assistenzhunde eine Bühne zu geben, Öffentlichkeit herzustellen. Doch der nicht fachkundige Fernsehzuschauer kann zwischen einem gut ausgebildeten Assistenzhund in der Wirklichkeit und einem Superhund aus der verzerrten Realität der Docutainment-Serie nicht unterscheiden. Wieso auch, können doch beide Schubladen öffnen, am Rollstuhl laufen, kuscheln und Lichtschalter betätigen.
Was an dem Bild des Superhund als Helfer auf 4 Pfoten war falsch?
Die Ausbildung eines Assistenzhundes dauert aus gutem Grund mehrere Jahre. Sie beschränkt sich nicht auf das Erlernen von Tricks. Wichtige Schwerpunkte sind der Bindungs- und Vertrauensaufbau sowie die Zuverlässigkeit des Hundes im Alltag und bei Außenreizen. Diese Ausbildung wird in der Regel von (Assistenz-)Hundetrainern – und nicht von Hundeverhaltenstherapeuten – durchgeführt oder eng begleitet.
Gute Assistenzhundetrainer gehen außerdem individuell auf die Menschen mit Behinderung ein. Und sie kennen sich mit deren Krankheitsbild, den damit einhergehenden besonderen Herausforderungen im Alltag und den speziellen Bedürfnissen aus. Das konnte ich so in der Serie nicht wahrnehmen. Erfahrene Assistenzhundetrainer zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie sowohl die Körpersprache der Menschen, als auch die der Hunde lesen können.
Es beginnt mit der Auswahl des Hundes…
Denn eine der ersten und schwierigsten Aufgaben eines Assistenzhundetrainers ist die richtige Auswahl des Assistenzhundes, der zu seinem künftigen Menschen passen muss. Der Hundetrainer muss den Charakter eines Hundes erkennen, ihn lesen können.
Und er muss den Menschen, den zukünftigen Hundehalter einschätzen können. Er betrachtet das persönliche Umfeld und schätzt die Fähigkeiten des Menschen mit Behinderung genau ab. Auch das lief – neben unzähligen wirklich kritischen Szenen im Training der Hunde, die teilweise grobe Trainingsfehler zeigten – meiner Ansicht nach in der Serie mehrfach falsch.
In der ersten Folge fiel mir die Fehlbesetzung durch Nikko auf. Die Narkoleptikerin wünschte sich einen umweltsicheren Hund, der ihr Schutz im Alltag – zum Beispiel beim Bahnfahren geben könnte, falls sie einschläft.
Der ausgewählte Hund, ein Straßenhund, kam direkt aus einem Tierheim in der Türkei und wurde nach einer Eingewöhnungszeit von – soweit ich mich erinnern kann 3 oder 4 Monaten – an das Mädchen abgegeben. Dieser sicherlich tolle Hund konnte aufgrund seiner Vergangenheit eine so schwere Aufgabe gar nicht bewältigen.
Das war in den folgenden Sequenzen deutlich zu sehen: Ein völlig gestresster Hund mit angespannter, ja verängstigter Körperhaltung in der Bahn bei seinem schlafenden Menschen. Hier stellte sich für mich die Frage, wer hier auf wen aufpassen müsste….
Maximale Belastung für Mensch und Tier
Die zweite absolute Fehlbesetzung war meiner Meinung nach die bereits 6jährige Husky-Schäferhündin Frieda für die magersüchtige PTBS-Patientin. Ein Husky-Schäferhund-Mix ist in der Regel nicht leicht zu führen, die Husky-Anteile sorgen außerdem für Eigenständigkeit und eine gewisse Distanz zum Menschen.
Frieda mochte – sicher auch aufgrund ihres Alters – ein ruhiger Hund sein, der auch auf Menschen zugeht und in seiner Umwelt gelassen reagiert. Doch der anstrengende Bindungsaufbau zu diesem durch viele Einflüsse bereits geprägten Hund war für die Patientin nicht machbar. Die Aufgabe war für die junge Frau schlicht zu schwierig. Sie konnte im Alltag die Energie, die dafür notwendig gewesen wäre, nicht aufbringen.
Außerdem brachten die notwendigen Trainingseinheiten in der Stadt die junge Frau an ihre Grenzen – dabei noch auf den Hund zu achten und ihn zu trainieren, war unmöglich. Deshalb brach die Patientin das Projekt zu Recht ab.
Eine weitere Szene, die mir in Erinnerung geblieben ist: Die versuchte Gewöhnung der Retriever-Hündin Emma an das Liegerad. Überdeutlich zu sehen waren hier Angst und Fluchttendenzen der Hündin, was sich auch bis zum Ende der Folge nicht wesentlich verbesserte, aber durch den Sprecher und auch Masih Sahim nicht fachgerecht, sondern gegenteilig kommentiert wurde.
Sollte Sat1 diese Fernsehkritik lesen, die allein meine Meinung widerspiegelt, so wünsche ich mir: Bitte orientieren Sie sich in der nächsten Ausstrahlung einer Sendung zum Thema Assistenzhunde weniger am Sensationsjournalismus als vielmehr an den Fakten. Denn das richtige Leben und die Ausbildung guter Assistenzhunde hat so viel Emotion und Sensation zu bieten, dass dies für eine gute Quote ebenfalls ausreicht.
Tierschutzhunde als Assistenzhunde?
Sicher: Diese Hunde aus der Serie haben nun einen Platz in einer Familie bekommen. Eine Chance, die sie andernfalls vielleicht nicht bekommen hätten. Soweit das Positive.
Und weil das Thema „Tierschutzhunde als Assistenzhunde“ so emotional diskutiert wird, möchte ich es auch gerne aus dieser Fernsehkritik ausklammern.
Denn ich bin mir sicher, dass es einige Tierschutzhunde gibt, die – mit Bedacht und über einen längeren Zeitraum sauber ausgebildet – einen wunderbaren Job als Assistenzhunde verrichten. Doch man darf bei aller Begeisterung für den Tierschutz nicht vergessen, dass die Prägephase dieser Hunde – im Welpenalter zwischen der 6. und der 18. Lebenswoche – in den meisten Fällen nicht optimal verlaufen ist. Umweltunsicherheiten, die auch später und unerwartet auftreten können, können die Folge sein.
Und um weiterer Kritik vorzubeugen: Meine eigene Hündin kommt aus dem Tierschutz. Sie ist heute 3 Jahre. Sie kann selbst Scheckkarten, Schlüssel oder Münzen vom Boden aufheben und mir reichen, zieht mir Socken und Jacke aus, schließt Türen und tanzt mit mir durchs Leben. Sie ist ein super Hund – aber kein Assistenzhund!
Autor: Christine Koblmiller
Der Text spiegelt meine Meinung zur Sat1-Serie Projekt Superhund wider. Ich freue mich auf Eure Kommentare und Eure Meinungen.
Hallo Christine
Ich bin froh, deine hinterfragende Stimme hier zu „hören“ und ich sehe das alles so ziemlich genau so! Auf die Ressourcen der handicapierten Menschen wird unzureichend bis hin zu grobschlächtig eingegangen und durch die Auswahl von Tierheimhunden wird die Wichtigkeit von guter Genetik und Prägung vom Tisch gewischt. Ich habe selber PTBS und fand den Umgang mit der magersüchtigen jungen Frau unprofessionell; ohne ihren Therapeuten (Therapeutin) sie einfach so rauszuschicken! Das ist nicht ok! Der Husky hat überhaupt nicht gepasst ….aber ich brauche ja hier deine Sicht nicht zu wiederholen.
Mich interessiert, wo DU die Grenze zum Assistenzhund siehst. Dein Hund kann vieles. Warum ist er in deinen Augen kein AH?
Lieber Gruss
Birgit
Hallo Birgit,
vielen Dank für Deinen Beitrag – das ist eine gute Frage, die ich gerne beantworte. In meinen Augen muss ein Assistenzhund auch im Alltag „funktionieren“. Mit anderen Worten, der Assistenzhund sollte Umweltreize in jeder Art von Umgebung gelassen ignorieren und konzentriert bei der Arbeit bleiben können. Dass wir es mit Hunden und nicht mit Maschinen zu tun haben, steht außer Frage. Dennoch sollte der Hundeführer sich mit seinem Hund vertrauensvoll in jeder Umgebung bewegen können. Zum Teil ist das Ausbildung, zum Teil aber auch Veranlagung der Hunde.
Und genau das ist bei meinem Wirbelwind nicht gegeben. Sie ist umweltunsicher. Anfangs hat sie sogar auf ein Froschquaken mit einem Satz zur Seite und lautem Kommentar reagiert. Sie hat eine Tendenz, Dinge und Lebewesen, die ihr zu schnell und zu laut sind, zu maßregeln. Sie stellt und zu verbellt, trifft durchaus auch eigene Entscheidungen. Es ist in diesen 3 Jahren, die ich sie nun habe, schon wesentlich besser geworden. Und mit viel geduldigem und zeitaufwändigem Training könnte das auch noch weiter zu verbessern sein. Aber für mich ist das so handhabbar, auch wenn ich immer dranbleiben muss. Ich habe aber auch keine Behinderung oder psychische Einschränkung. Für jemanden, der außerhalb seiner 4 Wände sehr viel mehr mit sich selbst zu tun hat und im Hund eine Unterstützung sucht, wäre meine Hündin eher eine Belastung, da ihre Reaktionen sehr schnell und manchmal nicht vorhersehbar sind – außer man hat sie ständig im Blick und „liest“ sie.
Doch was ich mit der Aussage eigentlich sagen wollte: Auch mein Hund kann viele „Tricks“ – aber die Basis, die innere Ruhe und den Charakter eines AH hat sie nicht, obwohl sie sehr menschenbezogen ist. Einem Assistenzhund die Tricks, die Assistenzaufgaben beizubringen – wie im Projekt Superhund – das ist nur die Kür und mit ein bisschen Erfahrung nicht so schwer. Die Basisarbeit ist die Auswahl des richtigen Hundes/Welpen, die Prägung, der Bindungsaufbau und die Vertrauensarbeit.